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Mittwoch, 04.12.2024

Die Pariser Kommune

Die Kommune bildete sich aus Stadträten, die in den verschiedenen Bezirken von Paris auf Grund des allgemeinen Stimmrechts bei den Wahlen am 26. März gewählt worden waren. Jedes Mitglied war verantwortlich und jederzeit absetzbar. Als Körperschaft sollte sie gleichzeitig gesetzgebende und vollziehende Gewalt in sich vereinigen. Damit war das Prinzip der zentralisierten Staatsmacht aufgehoben, dieser typisch bürgerlichen Regierungsform, die nach dem Muster der kapitalistischen Arbeitsteilung mit ihren Organen: Bureaukratie, Polizei, Heer, Richterstand, Geistlichkeit, Erziehungswesen usw. die Interessen der Bourgeoisie vertritt. Damit hing auch zusammen, daß die Kommune sich nicht auf ein stehendes Heer stützte, sondern das bewaffnete Volk in der Nationalgarde zu einer dauernden Einrichtung machte. Das erste Dekret der Kommune bezog sich auf diese Einrichtung. Ebenso wurde "die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche, jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Das gleiche geschah mit den Beamten aller anderen Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. Die erworbenen Anrechte und Repräsentationsgelder der hohen Staatswürdenträger verschwand mit diesen Würdenträgern selbst. Die öffentlichen Ämter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger der Zentralregierung zu sein. Nicht nur die städtische Verwaltung, sondern auch die ganze bisher durch den Staat ausgeübte Initiative wurde in die Hände der Kommune gelegt. Sie dekretierte die Auflösung und Enteignung aller Kirchen, die Pfaffen wurden in die Stille des Privatlebens zurückgesandt, um dort sich von den Almosen der Gläubigen zu nähren. Sämtliche Unterichtsanstalten wurden dem Volk unentgeldlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staates und der Kirche gereinigt. Die richterlichen Beamten verloren jene scheinbare Unabhängigkeit, die nur dazu gedient hatte, ihre Unterwürfigkeit unter alle aufeinanderfolgenden Regierungen zu verdecken, derer jeder sie, der Reihe nach, auf Eid und Treue geschworen und gebrochen hatten. Wie alle übrigen öffentlichen Dienste sollten sie fernerhin gewählt, verantwortlich und absetzbar sein." (Marx)

Die Kommune, zunächst für Paris verwirklicht, war aber nicht bloß für Paris gedacht, sondern sollte die politische Organisationsform jeder Gemeinde sein. Das stehende Heer auf dem Lande sollte durch eine Volksmiliz mit kurzer Dienstzeit ersetzt werden. Die Landgemeinden eines jeden Bezirks sollten ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten, und diese Bezirksversammlungen dann wieder Abgeordnete zur Nationaldelegation in Paris schicken; die Abgeordneten sollten jederzeit absetzbar sein und gebundenes Mandat haben. Entgegen der zentralistischen Staatsform, bei der der Wille der Regierung von der Spitze aus nach unter weitergegeben wird, sollte bei der Kommune der Wille der Massen von unten aus aufsteigen und sich in Maßnahmen der ausführenden Regierungsstellen verdichten, die stets in den Händen der Massen blieben. Der organisatorische Aufbau der staatlichen Verwaltung im Sinne der Kommune stellte ein großzügiges, föderatives, streng demokratisches Rätesystem dar. Sie war die Regierung der Arbeiterklasse, "die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte".

Damit war ihre völlige Unvereinbarkeit mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem ausgesprochen, ohne daß es erst der sozialpolitischen Dekrete (Abschaffung der Nachtarbeit in Bäckereien, Verbot der Lohnherabsetzung durch Geldstrafen, Überlassung von Werkstätten und Fabriken außer Betrieb an Arbeitergenossenschaften) bedurft hätte, die wie Schläge in Gesicht des Kapitalismus wirkten. Daraus ergab sich die Todfeindschaft, die vom ersten Augenblick an zwischen Kommune und Nationalversammlung nebst Regierung, zwischen Paris und Versailles bestehen mußte. Auch wenn Thiers kein Schurke, sein Kabinett keine Rotte von Banditen, seine Nationalversammlung kein zweites Koblenz der royalitischen Verschwörung gewesen wäre, hätte es aus diesem tiefen sachlichen Gegensatz der wirtschaftlichen und sozialen Interessen heraus zu einem Kampfe auf Leben und Tod kommen müssen. Denn hier standen Kapitalismus und Sozialismus zum ersten Male nicht nur als theoretische Systeme, sondern als praktische Staatsgebilde, las wirkliche Machthaber einander gegenüber.

Am 1. April erklärte Thiers von Versailles aus der Kommune offiziell den Krieg durch eine Depesche an den Präfekten: "Die Nationalversammlung tagt zu Versailles, wo sie eine der schönsten Armeen organisiert, welche Frankreich je besessen hat. Die guten Bürger können sich also beruhigen und auf das Ende eine Kampfes hoffen, der schmerzlich, aber kurz gewesen sein wird." Die "schönste Armee" bestand zunächst aus rasch zusammengelesenen und übergelaufenen Truppen, etwa 35000 Mann. Aber Thiers begann den Kampf. Am 1. April flogen die ersten Granaten von Versailles nach Paris.
Die Kommune antwortete mit einem Ausfall nach Versailles. Aber die Nationalgarde, völlig überrascht, schlecht ausgerüstet, ohne tüchtige Führung, war der Aufgabe nicht gewachsen, geriet in Verwirrung und wurde geschlagen. Flourens verlor dabei das Leben. Auf der Seite der Versailler tat sich durch Fanatismus und Grausamkeit besonders der General Gallifet hervor, ein korruptes Subjekt, der durch Anschlag erklären ließ: "Die Banditen von Paris haben den Krieg erklärt. Sie haben meine Soldaten ermordet. Ich erkläre diesen Mördern einen schonungslosen Krieg. Die Schonungslosigkeit wurde auch den Gefangenen gegenüber proklamiert. Sie alle wurden niedergemetzelt. Und was der Soldateska entging, wurde von dem Bürgerpack, das sich gleich Hyänen auf sie stürzte, von den eleganten Herren und Dämchen der Gesellschaft mit Stöcken, Schirmen, Fäusten geschlagen, verwundet, niedergemacht.
Der Jubel bei der Reaktion wart groß.

Die Angriffe von Versailles wiederholten sich. Die Pariser machten erneute, teilweise erfolgreiche Ausfälle. Besonders ein junger polnischer Offizier Dombrowski tat sich dabei hervor. Der Generalisimus Clusert von der Nationalgarde dagegen versagte. Auch die Kommune machte viele Mißgriffe in ihren Verteidigungsmaßnahmen. Ein Schwarm von Schwätzern, Renommisten, Maulrevolutionären, Schreiern begann sich breitzumachen. In den ehrlichen Willen der Tüchtigen und Aufrichtigen mischte sich viel Intrige, Großmannssucht und Verräterei von Strebern, Prahlhänsen und den unvermeidlichen "Hyänen des Schlachtfelds". Auf der anderen Seite stand es eher schlimmer als besser. Thiers hatte die größte Mühe, aus den Resten der Armee, Matrosen, Zuaven, Söldnern, Gendarmen, Freibeutern aller Art, eine brauchbare Truppe zusammenzustoppeln. Seine Aufrufe in die Provinz, wo in allen größeren Städten ebenfalls Kommunen entstanden waren, hatten keinen Erfolg. Aber auch die moralische Unterstützung blieb aus. Keine Billigungsadresse traf ein, kein Echo des Beifalls, den er sich in seinen Berichten selbst spendete, kam aus der Provinz zurück. So entschloß er sich, um die Verbindung mit dem Lande nicht zu verlieren, für den 30. April Gemeinderatswahlen für ganz Frankreich auszuschreiben. Von ihrem Ergebnis erwartete er die Ermutigung und Stärkung, die er für den großen Schlag gegen Paris brauchte.

Innere Schwierigkeiten

Die Kommune hatte keinen Grund mit ihren militärischen Erfolgen besonders zufrieden zu sein. Bei der Nationalgarde lag vieles im argen. Die Führung war miserabel. Es fehlte an jeder Kriegserfahrung. Obwohl 200000 Mann ihren Sold bekamen, waren im Ernstfall nur 20000 Mann zur Verfügung. Disziplin und Verantwortungsgefühl ließen viel zu wünschen übrig. In ein paar Wochen hatte sich von der frohen Begeisterung des 18. März reichlich viel abgewetzt. Die Mehrheit der Kommune erkannte, daß ernstlich nach dem Rechten gesehen und gründlich Abhilfe geschaffen werden müsse.

Es gab in der Kommune eine Mehrheit und eine Minderheit, deren ständige Reibereien und Feindseligkeiten die Arbeit sehr hinderten. Die Mehrheit bestand aus Blanquisten, die von der Auffassung ausging, "daß eine verhältnismäßig kleine Zahl entschlossener, wohlorganisierter Männer imstande sei, in einem gegebenen günstigen Moment das Staatsruder nicht nur zu ergreifen, sondern auch durch Entfaltung großer rücksichtsloser Energie so lange zu behaupten, bis es ihr gelungen sei, die Masse des Volkes in die Revolution hineinzureißen und um die führende kleine Schar zu gruppieren. Dazu gehörte vor allen Dingen strengste diktatorische Zentralisation aller Gewalt in der Hand der neuen revolutionären Regierung". Die Minderheit bestand vorwiegend aus Anhängern Proudhons, die Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation waren und mit dieser in reger Verbindung standen. "Die Ironie der Geschichte wollte es," sagt Engels, "daß die einen wie die anderen das Gegenteil von dem taten, was ihre Schuldoktrin vorschrieb." Für die ökonomischen Dekrete der Kommune, in ihren Vorzügen wie Fehlern, dürften in erster Linie die Proudhonisten verantwortlich sein; die politischen Beschlüsse dagegen waren samt und sonders das Werk der Mehrheit. Am gründlichsten arbeiteten die Verwaltungsressorts, an deren Spitze Mitglieder der internationale standen. Die Putsche gingen in der Regel von den Blanquisten aus; auch in der Nationalgarde herrschte der blanquistische Einfluß vor. Deshalb richtete die Minderheit, als die Verteidigung immer auffälliger versagte und der Verlotterung verfiel, scharfe Angriffe gegen die Mehrheit. Miot, ein Achtundvierziger, beantragte die Einsetzung eines fünfköpfigen Wohlfahrtsausschusses. Man war sich einig darin, daß die Verteidigung einen kräftigen Antrieb brauchte, daß erhöhte Wachsamkeit und Energie vonnöten seien und den leitenden Stellen größere Vollmachten erteilt werden müßten, um der vielen Widerstände Herr zu werden. Aber man stieß sich an dem Namen und seiner Tradition, während andererseits gerade davon eine anfeuernde Wirkung auf die Lauen, Halben und Pflichtvergessenen erwartet wurde. Schließlich entschied man sich mit 45 gegen 23 Stimmen für die Einsetzung des Ausschusses. Aber es stellte sich heraus, daß diese organisatorische Maßnahme allein nicht genügte, um alle Mängel zu beheben. Es kam zu neuen Klagen und Beschwerden, Umbildungen des Ausschusses, neuen Besetzungen und neuen Zerwürfnissen, ja zuletzt sogar so weit, daß die Minderheit mit einer scharfen Erklärung aus der Kommune austrat. Obwohl die Ausgeschiedenen nach einigen Besinnen und Beraten wieder in die Kommune zurückkehrten, versetzte doch das Bekanntwerden dieser Uneinigkeiten, der Spaltung, der Protesterklärung usw. dem Vertrauen der Massen, die in dieser schwierigen Situation ihren einzigen Halt in der Kommune sahen, einen erschütternden Stoß.

Noch verhängnisvoller war die immer deutlicher zutage tretende Unfähigkeit der Kommunemitglieder, auch nur einigermaßen befriedigend das Riesenmaß der Aufgaben zu bewältigen, die in allen Gebieten der Verwaltung ihrer Erledigung warteten. Die obere und mittlere Beamtenschaft war mit der Regierung nach Versailles abgezogen. Manche Ämter waren völlig verwaist. Es gab keine eingearbeiteten, aktenkundigen Leute, niemand wußte in der Registraturen und Archiven Bescheid, es fehlten Schlüssel, Stempel, Marken, die Bücher und Akten waren vielfach unübersichtlich gemacht, manche Abteilungen bildeten ein Chaos. Erst allmählich gelang es, Ersatz zu schaffen, brauchbare Leute zu finden, den Wirrwarr zu klären und eine ordnungsmäßige Erledigung der Amtsgeschäfte durchzuführen. Doch immer wieder traten Stockungen ein, wurden Fehler gemacht, kam der Verwaltungsapparat aus dem Gleichgewicht. Das Exekutivkommitee war völlig überlastet; die einzelnen Mitglieder mußten sich zwischen den täglichen Sitzungen, der Arbeit in den Kommissionen und ihren Obliegenheiten als Bezirksbürgermeister geradezu zerreißen. Besonders schlimm sah es in der Abteilung für Kriegwesen aus. niemand wußte hier Bescheid. Zahllose Befehle durchkreuzten einander. Die mehr als 1100 Kanonen, Haubitzen, Mörser und Mitrailleusen wurden falsch placiert oder es fehlte an Munition. In Intendanz ließ sich blindlings treiben. die Barrikaden baute ein Phantast ohne Methode und gegen die Pläne seiner Vorgesetzten. Es war keine Oberleitung da, keine Einheitlichkeit, keine Organisation. Relativ gut wickelte sich der Postbetrieb ab, doch hatte der Chef der Postverwaltung entgegen seiner Zusage die Postzufuhr den Versaillern in die Hände gespielt, so daß alle Briefschaften von auswärts abgefangen wurden. Mit der Kriegsabteilung wetteiferte in bezug auf chaotische Zustände die Justizabteilung, die in völlig hilflosen Händen war, obwohl gerade hier ein veraltetes, despotisches, klassenfeindliches Gerichtssystem nach Reformen schrie. Einigermaßen in Gang gebracht wurde die Arbeit der Münze. Vortrefflich war die Arbeit, die in der Unterrichtsabteilung geleistet wurde. Hier wirkte besonders Elisée Reclus mit Eifer und Hingabe. Auch Jourde war in seinem Finanzamte von anerkannter Tüchtigkeit. Aber das ganze war trostlos. "Man mag nachsuchen, wo man will," berichtet einer, der dabei war, "außer der Delegation der Arbeit waren alle wichtigen Delegationen ohnmächtig. Alle begingen den nämlichen Fehler. Sie hatten zwei Monate lang die Archive der Bourgeoisie seit 1789 in der Hand. Der Rechnungshof enthielt die Mysterien der offiziellen Betrügereien, der Staatsrat die geheimen Beratschlagungen des Despotismus, die Polizeipräfektur die schmachvollen Heimlichkeiten aller sozialen Gewalt, die Justiz die Servilitäten und Verbrechen der am meisten unterdrückten Kaste, das Stadthaus die Aktenstücke der Revolution, die von 1815, von 1830, von 1848 und die noch nicht untersuchten von 1851. Alle Diplomatieen fürchteten, die Urkunden der auswärtigen Angelegenheiten möchten sich auftun. Man konnte vor den Augen des Volkes in innere Geschichte der Revolution, des Direktorismus, des ersten Kaiserreichs, der Julimonarchie, des Jahres 1848, Napoleons III. darlegen. Man durfte nur diese Aktenstücke in die Winde werfen und der Zukunft die Auslese überlassen. Die Delegierten schliefen neben diesen Schätzen, ohne sie auch nur zu ahnen."
Diese Konstatierung deckt sich mit dem Zeugnis eines anderen, der ebenfalls dabei war und sich vergeblich bemühte, auch nur die Elemente von Ordnung und Disziplin in die bewaffnete Macht der Kommune zu bringe. Er sagt in seinen Memoiren, daß er in seinem Leben viele Organisationen und viele Insurrektionen gesehen habe, aber niemals etwas, was der Anarchie der Nationalgarde von 1871 vergleichbar gewesen wäre.

Es war nicht abzusehen, ob die Kommune jemals über diesen Chimborasso von Schwierigkeiten und Nöten mit ihren schwachen, unzulänglichen Kräften hinwegkommen würde. Der Lauf der Dinge überhob sie der Ablegung dieser Probe.

Der Zusammenbruch

Zwischen der Regierung in Versailles und Bismark war inzwischen eine Verständigung erfolgt, nach der die ersten 500 Millionen Kriegsentschädigung von Frankreich gezahlt werden sollten, sobald die Wiederherstellung der Ordnung und des Friedens in Paris erfolgt sei.
Wie aber sollte Thiers mit Paris fertig werden? Auf seine Aufrufe waren nur einige hundert Freiwillige eingetroffen Die Gemeindewahlen waren im ganzen Lande republikanisch ausgefallen. Von 700 000 Gemeinderäten in 35 000 Gemeinden hatten die Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten kaum 8000 erhalten. In zahllosen Gemeinden hatte das Volk im offenen Aufruhr das Stadthaus besetzt, die rote Fahne aufgepflanzt und die Kommune ausgerufen. Überall bekundete man seine Sympathie mit Paris; die "Tribüne" von Bordeaux schlug vor, einen Kongreß aller Städte Frankreichs zur Beendigung des Bürgerkriegs einzuberufen. Thiers arbeitet mit Verleumdungen, Beschimpfungen, Bestechungen, gefälschten Depeschen, verlogenen Maueranschlägen, denn die Schwierigkeit der Situation begann ihn auf den Nägeln zu brennen.
Leider sah sich die Kommune gerade in diesem Moment völlig ohne Kopf. Gambetta hatte sich verärgert und entmutigt nach San Sebastian in Spanien begeben. August Blanqui war verhaftet, Flourens getötet, Delescluze krank. Louis Blanc aber erklärte eine Deputation: "Mit wem in Paris soll man denn verhandeln? Die Leute, die sich dort um die Herrschaft streiten, sind Fanatiker, Dummköpfe oder Schurken, von den bonapartistischen oder preußischen Umtrieben ganz zu schweigen." Daran war gewiß manches richtig: die älteren Vertreter der revolutionären Bewegung, besonders die Achtundvierziger, waren verschrobene und verworrene Geister, ohne Verbindung mit ihrer Zeit, in überholten Ideen verfangen und maßlos eitel; die jüngeren Elemente aber, in einer reaktionären Epoche aufgewachsen und ohne revolutionäre Erfahrung, hielten ihre wilden Proteste und Wutausbrüche für heroischen Kampf, bis die Enttäuschung, die unfehlbar folgte, sie sofort umwarf und unbrauchbar machte. Dabei steckte all diesen revoltierenden Kleinbürgern der Respekt vor dem Eigentum so tief in den Knochen, daß sie bürgerlichen Besitz nicht anzutasten wagten. Wohl griffen sie zu der Kampfmethode zurück, Geiseln in Haft zu nehmen, die sie als Pressionsmittel gegen die Versailler auszuspielen gedachten. Aber es kam ihnen niemals der Gedanke, etwa die Bank von Paris zu beschlagnahmen. Gerade aber damit hätten sie den stärksten Trumpf in die Hand bekommen, die ganze Bourgeoisie auf die Knie gezwungen und die Regierung Thiers glatt erledigt. Ihr Mangel an Tatkraft, Umsicht, Reife wurde so zum Vorteil und Gewinn der Gegenseite.

Thiers erwirkte von Bismark, daß ihm die gefangenen bonapartitischen Truppen, unterstützt von preußischen Bataillionen, überlassen wurden, um die "Anarchie" in Paris mit Stumpf und Stiel auszurotten. Seit Anfang Mai war er infolgedessen militärisch im Vormarsch. Das Fort Vanves und das Dorf Issy mußten geräumt werden. Und während das Volk von Paris unter den Klängen der Marseillais die Vendômesäule als Symbol des kriegerischen Cäsarismus umwarf, das Haus von Thiers zerstörte, die Karikaturen von Thiers belachte und in den Tuilerien "auf den Bänken des Hofs" sich an Konzerten und Deklamationen ergötzte, bahnte sich Thiers, den Verrat begünstigt, den Weg nach Paris, um das Blutbad anzurichten, in dem die Kommune untergehen sollte. Er habe Staatserlaubnis, hatte er zur Nationalversammlung gesagt, an Paris seine Rache nach Herzenslust zu kühlen.

Die Lage wurde von Tag zu Tag bedrohlicher. Denn die Versailler rückten vor. Am 16. Mai erließ der Delegierte für die auswärtigen Angelegenheiten einen Aufruf an die großen Städte. Sie sollten nicht warten, bis Paris in einen Kirchhof verwandelt sei, sondern zu Hilfe eilen. Er verhallte wirkungslos, da man versäumt hatte, früher schon mit den Städten, in denen eine lebhafte Aufstandsbewegung zum Teil noch im Gange war, in Verbindung zu treten. Wenige Tage später begann der Verzweiflungskampf.
Das Feuer der Angreifer wurde immer mörderischer. Die südwestliche Verteidigungsstellung konnte schließlich nicht mehr gehalten werden. Die Verteidiger wichen hinter die Gürtelbahn zurück, die Wälle blieben völlig entblößt, die Tore ohne Bewachung. Seit Anfang April hatte man 4000 Mann an Toten und Verwundeten und 3500 an Gefangenen verloren. Die Agitatoren setzten alles daran, um den Mut nicht sinken zu lassen. Besonders Louise Michel wirkte mit unermüdlicher Beredsamkeit aus der Tribüne und unter den Frauen. Aber der Erfolg ließ zusehens nach. Alles war entmutigt und verärgert, die Eifersüchteleien, Streitigkeiten, Intrigen hatten alle Energie untergraben. Selbst die Tapfersten und Begeistertsten hatten die Lust verloren. Am 21. Mai, einem Sonntag, als im Park der Tuilerien einen Riesenkonzert zum Besten der Witwen und Waisen der Kommune stattfand, platzten die Bomben der Versailler in die Stadt. "Auf Wiedersehen zum zweiten Konzert in acht Tagen!" rief man sich beim Schlusse ahnungslos zu. In derselben Stunde, ja Minute zogen die feindlichen Truppen durch das Tor von St.-Cloud ein, das sie völlig unbewacht vorgefunden hatten. Ein Spion Ducatel hatte sie darauf aufmerksam gemacht.
Im Westen, dem reicheren Viertel der Stadt, fanden die Truppen keinen Widerstand. Je weiter sie aber nach dem Zentrum und nach dem Osten vordrangen, desto erbitterter wurde der Kampf. Barrikaden erstanden, die Nationalgarde macht mobil, Generalmarsch wurde geschlagen. Aber überall rächte sich die ungeheure Nachlässigkeit und Pflichtversäumnis der Verteidigung während der vorangegangenen Wochen. Die Geschütze waren in schlechtem Zustande, es fehlte an Munition, die Führung verlor völlig den Kopf, auf dem Stadthause ging alles drunter und drüber. Die alte Rebellin Paris fand ein kleines und ohnmächtiges Geschlecht, das ihre ruhmreiche Tradition wahren sollte.

Die Versailler Truppen, in großer Übermacht, Überfluteten bald die ganze Stadt. Am 23. Mai wurde der Montmartre genommen. In allen Straßen tobte der mörderische Kamp. Aber eine Barrikade nach der anderen fiel. Aus den Fenstern wurde geschossen. Die Truppen antworteten mit gräßlichen Metzeleien. Die Kommune verlor immer mehr Terrain. In der Nacht setzten ungeheure Brände ein, die Tuilerien, die Ehrenlegion, der Staatsrat, der Rechnungshof gingen in Flammen auf. Die Kommune wandte die Feuersbrünste als Verteidigungsmittel an, um die langen, geraden Straßen zu versperren, in denen die Kanonen und Mörser der Versailler schreckliche Verwüstungen anrichteten.
Am 24. Mai räumte die Kommune das Stadthaus. Das Panthéon wurde genommen. Vierzig Gefangene wurden an Ort und Stelle auf Befehl eines Obersten abgeschlachtet. Mit rasender Blutgier stürmten die Truppen durch die Straßen und Quartiere, alles niedermetzelnd, was sie vorfanden. Die Bartholomäusnacht wurde in den Schatten gestellt. In maßloser Erbitterung, um ihrer Rache Luft zu machen, holten Nationalgardisten aus dem Gefängnis sechs von den 300 Geiseln und erschossen sie, darunter der Erzbischof von Paris. Die Feuerbrünste wüteten fort.

Am 25. Mai fiel das ganze linke Seineufer in die Hände der Truppen. Die Menge der Gefangenen wurde so groß, daß man sie einzeln nicht mehr niedermetzeln konnte. Mit Hilfe der Verschwörerbanden, die sich, durch Armbinden kenntlich, den Truppen zur Verfügung stellten, trieb man die Opfer scharenweise in die Kasernen, Bürgermeistereien, Höfe, um sie dort in Massen zu vernichten. Die Mitrailleusen mähten ganze Schwaden von Menschen nieder. Man muß, sagt Marx, zurückgehen bis zu den Zeiten Sullas und der beiden römischen Triumvirate: dieselbe massenweise Schlächterei bei kaltem Blut, dieselbe Mißachtung beim Morden, dasselbe System, Gefangene zu martern, dieselben Ächtungen, aber diesmal gegen die ganze Klasse, dieselbe wilde Jagd nach den versteckten Führern, dieselbe Angeberei gegen politische und Privatfeinde, dieselbe Gleichgültigkeit die der Niedermetzelung von dem Kampfe ganz fremden Leuten. Nur der eine Unterschied ist da, daß die Römer noch keine Mitrailleusen hatten, um die Geächteten schockweise abzutun, und daß sie nicht "in ihren Händen das Gesetz" trugen, noch auf ihren Lippen den Ruf der "Zivilisation".
Die Feuerbrünste dauerten an. Am 26. Mai wurden weitere 48 Geiseln erschossen. Am 27. Mai nahmen die Versailler den Friedhof Père-Lachaise. Am 28. Mai endigte der achtägige furtbare Kampf. Am 29. Mai wurde das Fort von Vincennes übergeben. Selbst die Greul der Junischlacht waren vor dem Morden und Wüten der dem Blutrausch verfallenen, besoffenen und vertierten Soldateska verblaßt. Ja, alle Greul der Weltgeschichte wurden hier überboten.

Und nach dem heißen Kampfe kam die kühle Rache. Mehr als 5000 Kommunekämpfer wurden in der Nähe des Père-Lachaise gefangengenommen und nach La Roquette gebracht. Der Offizier ließ die einen zur Rechten, die anderen zur Linken antreten. Dann wurden die zur Linken, etwa 1900, an die Mauer gestellt und niederkartätscht. Die gleiche Massenschlächterei im Gefängnis Mazas, in der Militärschule im Park Monceau, im Luxembourg. Ein Offizier schritt die Front der Gefangen ab und hielt Auslese; die Vorgetretenen wurden abgeführt und im nächsten Hofe oder Garten von Truppen oder Gandarmen abgeschlachtet. S in den Kasernen, im Bonaparte-Lyzeum, am Nord- und Ostbahnhof, im Jardin des Plantes, in den Bürgermeisterein. Große Möbelwagen holten die Leichen ab und leerten ihren Inhalt irgendwo aus. Die Kirchhöfe von Paris nahmen aus, soviel sie konnten. Die Opfer füllten ungeheure Gruben im Père-Lachaise, im Montmarte, im Montparnasse. 6000 Flüchtlingen haben sich im Todeskampfe der Verzweifelung in den Irrgärten der Katakomben verloren. Insgesamt sind in Paris etwa 20 000 Menschen massakiert worden.

Dann kam die Blutarbeit der Gerichte. Etwa 40 000 Menschen jeden Alters und Geschlechts wurden als Gefangene nach Versailes tarnsportiert und dort auf ungesetzliche Weise behandelt, miserabel verpflegt, durch Gewalttätigkeiten, Mißhandlungen, Verwahrlosung zugrunde gerichtet. Tausende starben an Wundfieber, im Wahnsinn, vor Hunger und Durst. Alle Schrecken der Hölle wurden gegen die hilflosen Opfer entfesselt. Es gibt keine Bstialität, die nicht an ihnen verübt wurde. Und immer neue Heere von Gefangenen kamen hinzu, denn die Verfolgung wurde fortgesetzt. Es gab kein Asyl für die Verfolgten, wenig Freunde, keine Kammeraden mehr, keinen Unterschlupf. Ärzte lieferten die Verwundeten aus. 399 823 Denunziationen liefen bei den Behörden ein. Die Ordnungbestie wütete.
Im August fand der Prozeß gegen einige Mitglieder der Kommune statt, die dem Blutbad entgangen , aber den Versaillern in die Hände gefallen waren: Ferré, Assy, Joude, Paschal, Grousset, Courbet, Trinquet und zehn andere, dazu zwei Mitglieder des Zentralkomitees. Es gab nur Todesurteile und lebenslängliche Deportation.

Von Juni bis September wurden 2800 Gefangen von den Kriegsgerichten abgeurteilt. Diese 26 Kriegsgerichte funktionierten wie 26 Mitrailleusen. Todesurteile. Lebenslängliche Deportation. Zwangsarbeit. Kerker. Verbannung. Das ganze Jahr hindurch arbeitete die juristische Guillotine. Im Juni 1872 war das Werk der Rache vollendet. Von 36 309 Gefangenen, Männern, Weibern, Kindern (ungerechnet 5000 Militärpersonen), waren in Verailles 1179 gestorben, 22326 nach langer qualvoller Haft wieder freigelassen, 10 488 vor die Kriegsgerichte gestellt und davon 8525 abgeurteilt. Doch auch dann gingen die Verfolgung noch weiter. Noch im Herbst 1876 wurden ergriffene Kommunekämpfer vor Gericht gestellt und verurteilt. Im ganzen wurden 13 700 Verurteilungen ausgesprochen.
Nach Lossagaray wurden insgesamt 25 000 während der Maitage massakiert, 3000 starben in den Gefängnissen, 13 700 wurden verurteilt, die meisten zu lebenslänglichen Strafen, 70 000 Frauen, Kinder und Greise wurden ihrer Ernährer beraubt. Insgesamt 111 000 Opfer.

Das war die Rache der französischen Bourgeoisie. Und zugleich ihre Rettung vor der drohenden Gefahr, die ungeheuren Kosten eines verlorenen Krieges aus eigener Tasche zahlen zu müssen. Durch das Blut der Arbeiter hatten sie sich freigekauft von der Pflicht zur Zahlung der Kriegsschuld an die Preußen. Sie wälzten die Last auf die Schultern derer, die dem entsetzlichen Blutbad in Paris entgangen waren. Denn sie waren wieder Herren im Staat. Die Klassenordnung war wiederhergestellt. "Das Ziel erreicht," rief der zum Tiger gewordene Affe Thiers aus, "der Sieg der Ordnung, Gerechtigkeit und Zivilisation ist endlich gewonnen." Und die Bourgeoisie Frankreichs, Europas, der ganzen Welt klatschte Beifall. Der Kapitalismus triumphierte.


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